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Scientific culture – science in culture

The following report of the annual meeting of the German Society for the History of Medicine, Science and Technology (Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik, DGGMNT) and the Society for History of Science (Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, GWG) held in Braunschweig, 28 September -1 Oktober 2006 shows that the cultural history of science is flourishing in […]

The following report of the annual meeting of the German Society for the History of Medicine, Science and Technology (Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik, DGGMNT) and the Society for History of Science (Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, GWG) held in Braunschweig, 28 September -1 Oktober 2006 shows that the cultural history of science is flourishing in the German speaking part of Europe:
Kultur der Wissenschaften – Wissenschaften in der Kultur
Gemeinsame Jahrestagung der Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik (DGGMNT) und der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte (GWG) vom 28. September bis zum 1. Oktober 2006 in Braunschweig
Bericht von Gerlind Rüve (Hannover), Andrea Westermann (Zürich), Marion Hulverscheidt (Berlin/Heidelberg), Verena Witte (Bielefeld)
“Kultur der Wissenschaften – Wissenschaften in der Kultur”, so lautete der
Titel, unter dem die diesjährige Konferenz der beiden deutschsprachigen
wissenschaftshistorischen Gesellschaften stand.[1] Die Zentrierung des
Tagungsthemas um so umkämpfte und viel diskutierte Begriffe wie
“Wissenschaft” und “Kultur” legt sofort nahe, dass hier ein weites Spektrum
wissenschafts- und kulturgeschichtlicher Fragen zur Diskussion kam. So wurde
ganz grundsätzlich das Verhältnis zwischen Wissenschaftsgeschichte und der
neueren Kulturgeschichte, das heißt die Öffnung der Wissenschaftsgeschichte
für kulturgeschichtliche Fragestellungen, angesprochen. Die Formel
“Wissenschaften in der Kultur” zog Vorträge an, die die
wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungsgegenstände und -inhalte auf ihre
Bedeutung für die Kultur, verstanden als Gesellschaft, hin befragten oder in
ihrer gesellschaftlichen Relevanz für die Normierung von Kultur, verstanden
als Lebensführung, verorteten. Die Überschrift “Kultur der Wissenschaften”
verweist darüber hinaus darauf, dass sich die Wissenschaftsgeschichte der
letzten Jahre eine eigene kulturgeschichtliche Perspektive erarbeitet hat,
die die Konstruktionsleistungen bei der Entstehung von Wissen sichtbar
macht. Sie betont den sozialen, epistemischen, materiellen und politischen
Aufwand, mit dem Wissenschaften zu ihren Fragestellungen,
Untersuchungsgegenständen und Ergebnissen kommen. Unter diesem Blickwinkel
rücken die Arbeitsinstrumente, wissenschaftlichen Praktiken, Rituale und
Aushandlungen von WissenschaftlerInnen ins Zentrum. Aus diesem Ansatz
ergeben sich, wie zu sehen sein wird, Anschlussmöglichkeiten für die
allgemeine Geschichte.
Mit der 89. Jahrestagung und dem 44. Symposium tagten DGGNMT und GWG seit
dem Wissenschaftshistorikertag vor zehn Jahren in Berlin erstmals wieder
gemeinsam. Angesichts weiter Überschneidungen der beiden Mitgliederkreise
handelte es sich dabei um eine hoch willkommene Entscheidung, die sich auch
in der Gestaltung des Programmsniederschlug. Es war eine Mischform zwischen
einem aus Plenarvorträgen mit anschließender Diskussion bestehenden
ganztägigen Symposium sowie auf zwei Tage verteilten thematischen und freien
Sektionen.
I. Kulturbegriffe
Der gewählte Kulturbegriff und seine Implikationen für die historische
Analyse wurden in den ersten Vorträgen des Symposiums, auf dem nach einer
Einführung durch Mitchell Ash (Wien) insgesamt acht einstündige Vorträge auf
dem Programm standen, eingehend thematisiert.[2] Ute Daniel (Braunschweig)
etwa legte in ihrem Vortrag “Die Geburt der Medienwissenschaft aus dem Geist
der Propaganda. Zur Entstehungsgeschichte der Medienwissenschaft” einen
erfahrungsbasierten Kulturbegriff an, der anwendungsnahe Wissenschaften ganz
in ihren politischen und wirtschaftlichen Komponenten aufgehen lässt. Mit
Verve skizzierte sie die Entwicklung der deutschen Medienwissenschaft aus
dem kollektiven Umgang mit Propaganda und ihrer Wirkung im Ersten Weltkrieg.
Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive ist kritisch anzumerken, dass
Daniel dies unternahm, ohne Bezug auf die spezifisch technische Ermöglichung
der massenmedialen Vergesellschaftung und der fachlich-systematischen
Reflexion dieses Umstands innerhalb der beteiligten Wissenschaften seit dem
späten 19. Jahrhundert zu nehmen. Gegenüber der in der politischen
Meinungsforschung tätigen Sozialforscher wie Paul F. Lazarsfeld blieb so
auch der Anteil, den kultur- und literaturwissenschaftlich orientierte
Protagonisten wie Walter Benjamin an der Etablierung
medienwissenschaftlicher Theoreme hatten, ausgeblendet.
Gadi Algazi (Tel Aviv) hob in seinem exzellenten Vortrag “Eine gelernte
Lebensweise. Figurationen des Gelehrtenlebens zwischen Mittelalter und
Früher Neuzeit” in Abgrenzung zu Bourdieus Habitusbegriff hervor, dass
Kultur sich weder als Reflex auf soziale oder mentalitätsspezifische Zwänge
darstelle noch durch ökonomische Strukturen vorgegeben sei. Kultur sei nur
in tatsächlichen Handlungszusammenhängen zu greifen. Die Herausbildung einer
europäischen Gelehrtenkultur im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit
hatte, so veranschaulichte Algazi diesen Punkt, die ständige Arbeit an einem
Repertoire distinktiver Verhaltensweisen erforderlich gemacht. Jenes stand
keineswegs nur in seiner Gänze und unhinterfragbar zur individuellen
Verfügung. Geselligkeitsverpflichtungen, monastische Traditionen der Sorge
um das Selbst sowie verschiedene Einkommensquellen, darunter die von der
Familiengröße abhängige Besoldung durch die Universität, wurden im
Einzelfall behutsam ausbalanciert und brachten im Gesamtbild schließlich den
gesellschaftlich reputierten Typus des Wissenschaftlers hervor.
Ähnlich flexibel und plural wollte Hans-Jörg Rheinberger (Berlin) den
Kulturbegriff verstanden wissen, wenn er für das 20. Jahrhundert den
Vorschlag machte, “Kulturen des Experiments” zu identifizieren. Man könne
solche Kulturen ausmachen, wenn sich genügend Gemeinsamkeiten zwischen den
kleinsten funktionsfähigen Arbeitseinheiten in einem Labor, vom Vortragenden
bekanntlich als Experimentalsysteme bezeichnet, einstellten. Als Gradmesser
solcher Gemeinsamkeiten böten sich die Überlappung der benutzten Techniken,
der Austausch und Gebrauch standardisierter Materialien und
Untersuchungsobjekte sowie die Zirkulation von Wissenschaftlern zwischen den
verschiedenen Einheiten an.
In den beiden Vorträgen am frühen Nachmittag war der kulturalistische Blick
auf die Wissenschafts- und Technikgeschichte gewissermaßen qua
Institutionalisierung verbürgt: Gabriele Werner (Wien) ist
Kunsthistorikerin, Albrecht Koschorke (Konstanz) Literaturwissenschaftler.
Werner (“Wider den Kanon. Wie lässt sich eine Kultur des Visuellen, wie
lassen sich visuelle Kulturen disziplinübergreifend besprechen?”) lieferte
eine Kritik an den Entwürfen, die für die Legitimität und Notwendigkeit
einer eigenen, zu bisherigen Disziplinen quer stehenden Bildwissenschaft
streiten. Da diese Entwürfe die Analyse naturwissenschaftlicher Bilder als
Arbeitsinstrumente bzw. Evidenzen im Forschungsprozess nicht mit umfassten,
seien sie vom eigenen Anspruch einer allgemeinen Bildwissenschaft weit
entfernt. Werner beließ es bei der Benennung des Mankos und unterbreitete
kein Analyseangebot für naturwissenschaftliche Bilder und Verfahren der
Bildgebung aus kunstwissenschaftlicher Sicht. Weiterführend könnte ihre in
der Diskussion angestellte Überlegung nach der “Verkunstung” als
Produktions- und Rezeptionshaltung sein: Welchen Grad von “Verkunstung”
schreiben Biologen den eigenen Zeichnungen zu? Diese Frage stellt sich
umgekehrt auch für die Kunsthistoriker: Welche Hoffnung, Kunst zu finden,
treibt Kunsthistorikerinnen und -historiker bei der Sichtung solcher Bilder
an?
Koschorke setzte sich in seinem Vortrag “Von der Unvermeidbarkeit des
Erzählens. Das Problem der zwei Anfänge in Wissenskulturen” dafür ein, den
Begriff der Erzählung für eine Wissensgeschichte fruchtbar zu machen. An den
Rändern, am Ende und an “heißen Punkten” von Forschungsprozessen, also immer
da, wo Wissen noch wenig stabilisiert ist, sei ein auffälliger Rückgriff auf
Erzählstrukturen zu konstatieren, um eine Sequenzialisierung von Daten und
Ereignissen zu erreichen. Dieser Überlegung möchte man sofort zustimmen: Man
denkt beispielsweise an den utopischen Überschuss, durch den sich
Wissenschafts- und Technologieentwicklungen häufig nicht nur in öffentlichen
Rechtfertigungen, sondern im Forschungsmilieu selbst auszeichnen. Leider
wurden die literaturwissenschaftlichen Untersuchungskompetenzen auf einer
abstrakten Ebene ausgerufen: Koschorkes Argument hätte durch die
Interpretation eines Beispiels – einer ausgewählten Narration an prekärer
Stelle im Theoriegebäude oder in der Forschungspraxis einer Disziplin – sehr
gewonnen.
Bereits sehr nah an der Sozial- und Kulturgeschichte siedelten sich die
nachfolgenden Beiträge an. In Martina Heßlers (Offenbach) Vortrag “Urbane
Wissenschaft?” tauchte “Kultur” in den klischierten Bildern von Wissenschaft
auf, mit dem die bundesdeutsche Wissenschaftspolitik intern und gegenüber
der Öffentlichkeit operierte. In den 1950er Jahren war Wissenschaftspolitik
vor allem Strukturpolitik. Großforschungseinrichtungen wie der
Forschungsreaktor in München-Garching 1957 wurden in infrastrukturschwache
Vorort-Regionen ausgelagert. Dabei verwies man auf die Vorteile
angelsächsischer Campusuniversitäten und aktualisierte so das (Selbst-)Bild
der Wissenschaft, autonom und in klösterlicher Abgeschiedenheit
Grundlagenforschung zu betreiben. Doch auch mit der Wiederannäherung von
Forschungseinrichtungen an die Stadt oder an Ideen des Städtischen – Heßler
stellte für diesen Wandel die Formel “Urbane Wissenschaft” in den Raum –
reagierten Vertreter aus Politik, Industrie und Forschung auf neue
strukturpolitische Anforderungen. Die Rede vom innovativen städtischen
Milieu kann dann wiederum als kulturalistisch begründete Standortpolitik
interpretiert werden.
Der abschließende Vortrag von Andreas Fickers (Utrecht), “Der Radioapparat
als domestizierte Technologie und mediales Dispositiv. Kulturgeschichtliche
Thesen zur symbolischen Aneignung von Technik” warf theoretische Fragen der
Technikgeschichte anhand einer Fallstudie über die Einführung der
Senderskala am Radioapparat in den dreißiger Jahren auf. Fickers plädierte
für die Analyse des Designs technischer Artefakte, da über ihre
Gestaltungsformen Aussagen über Aneignung und Konsum von Technik gemacht
werden könnten. So sollte mit der Einführung der Senderskala einerseits die
Bedienung des Radios vereinfacht, den NutzerInnen andererseits die
Beherrschbarkeit der Technik suggeriert werden. Das Design, verstanden als
Dispositiv, diente Fickers als kulturhistorische Erklärungskategorie.
Der öffentliche Abendvortrag von Eva Labouvie (Magdeburg), “Alltagswissen –
Fachwissen – Körperwissen” beschäftigte sich, ausgehend von der Geburtshilfe
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, mit der “Aneignung, Bewertungs- und
Orientierungslogik von Wissenskulturen”. Die langjährigen Forschungen zur
Hebammenausbildung Labouvies lassen interessante verallgemeinerbare Aussagen
über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu. So verlief
der Aneignungsprozess von Wissenschaft – Labouvie stellte dafür das
tradierte Erfahrungswissen der Hebammen dem am Ende des 18. Jahrhunderts
überlegenen, weil theoretisch begründbaren Wissen der akademisch
ausgebildeten Ärzte gegenüber – oftmals über das Versprechen der
Statusaufwertung. Hebammen ließen sich dazu bewegen, die von Ärzten
geleiteten Hebammenschulen zu besuchen, weil sie ein festes Gehalt oder
Privilegien erwarten konnten. Auch die mit einer Aufwertung verbundene
formale Zertifizierung ihres Berufes stellte einen Anreiz dar. Der
Verwissenschaftlichungsprozess vollzog sich jedoch nicht nur in eine
Richtung: Die Wissenschaft formierte sich auch dadurch, dass Alltagswissen
und Alltagspraktiken für Fragen, die sich aus dem theoretischen Wissen
ergaben, nutzbar gemacht und eingebunden wurden.
Walter Bruchhausen (Bonn) stellte in der Karl-Sudhoff-Vorlesung “Jenseits
von Sudhoff? Kultur als Heuristikum jüngerer Medizingechichtsschreibung” die
ethnologische Diskussion um den Kulturbegriff und deren Effekte auf die
Denkstile innerhalb der Medizin und der Medizingeschichte dar. Der
Eurozentrismus und die Auffassung von Kultur als einem Begriff für das stete
menschliche Bemühen und Streben nach Selbstvervollkommnung ließen den
interkulturellen Vergleich nur auf der zeitlichen Achse, nicht auf der
räumlichen zu. Gerade hier sah Bruchhausen eine Chance für eine veränderte
Wahrnehmung, die auch den Erkenntnisgewinn auf weiteren Ebenen ermögliche.
Im folgenden nutzt der Tagungsbericht die eher wissenschaftsforschenden oder
eher gesellschaftsgeschichtlichen Akzente einzelner thematischer und freier
Sektionen bzw. Vorträge, um die Menge des Gehörten – es handelte es sich um
knapp 80 Präsentationen – zu bändigen und ausschnittweise über Verdichtungen
zu referieren. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann und soll deswegen nicht
erhoben werden.[3]
II. Kultur der Wissenschaften
Wissenschaftliche Praktiken und Objekte
Unter dem Oberbegriff “Prekäre Stoffe” – so lautet auch der Titel eines
Braunschweiger Forschungsprojektes – fanden gleich zwei thematische
Sektionen Einzug in das Programm. Als “prekäre Stoffe” wurden hier so
unterschiedliche Stoffe wie Strahlen (Alexander von Schwerin, Braunschweig),
Hormone und Vitamine (Heiko Stoff, Braunschweig) und Arsen (Bettina Wahrig,
Braunschweig) gefasst, deren Gemeinsamkeiten in ihrer Leistungsfähigkeit und
zugleich Uneindeutigkeit bezüglich der Wirkung lagen. Die Prekarität bzw.
Wirksamkeit von Stoffen, so die Grundannahme, werde dabei immer auch
kulturell hergestellt. Unter dem Titel “Wirksamkeitskonstruktionen”
präsentierte eine weitere Sektion eine Genealogie prekärer Stoffe als eine
Geschichte der Objektivierung von Dingen. Die Vorträge von Viola Balz
(Braunschweig), Jeannie Moser (Konstanz) und Nicholas Eschenbruch (Freiburg)
zeigten an den Beispielen der Neuroleptika, des LSD und homöopathischer
Arzneimittel, wie die Wirksamkeit dieser Stoffe in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts gesellschaftlich verhandelt, objektiviert und durchgesetzt
wurde. Insbesondere die Beschreibung der Wirkung, die sowohl beim
Chlorpromazin und bei LSD zunächst eine rein subjektiv wahrnehmbare war,
forderte neue Dokumentationssysteme.
Die thematische Sektion “Stratigraphie als Konstruktion nationaler Identität
” mit Vorträgen von Bernhard Fritscher (München), Norman Pohl (Freiberg) und
Marianne Klemun (Wien) untersuchte die Praxis der landesweiten geologischen
Landesaufnahme des mittleren 19. Jahrhunderts als Element der
Nationsbildung. Das Problem der auf allgemeine Gültigkeit und
Vergleichbarkeit angelegten stratigraphischen Ordnungssysteme, die empirisch
auf regional begrenzter Forschungsarbeit beruhten, stand ebenso zur Debatte
wie das prägende Eigengewicht bürokratischer Verfahren für die Forschungs-
und Diskussionskultur der an den Landesaufnahmen beteiligten Geologen.
Schließlich wurden für die Freiberger Geologische Schule rhetorische
Verschränkungen zwischen geologischen Verhältnissen, regionaler
Charaktertypisierung der Bewohner und politischer Geographie konstatiert. Im
Kommentar machte Staffan Müller-Wille (Exeter) darauf aufmerksam, dass die
Stratigraphie zunächst ein unwahrscheinlicher Kandidat für die Abstützung
nationaler Identitäten sei. Denn eine wesentliche Voraussetzung ihres
Erfolgs in der Klassifizierung von Gesteinsschichten hatte gerade in der
Erkenntnis bestanden, dass Lebensformen und Lebensraum auseinander fallen
konnten.
Die thematische Sektion “Papierkriege” mit Vorträgen von Daniela Saxer
(Zürich), Mario Wimmer (Bielefeld) und Monika Dommann (Zürich) interessierte
sich dafür, wie sozial- und geisteswissenschaftliches Wissen im Medium
Papier verfügbar gemacht und gehalten wurde. Es ging um die Standardisierung
und damit Herstellung historischer Quellen in Editionsprojekten, die in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Konjunktur hatten, sowie um die
Praktiken wissenschaftlicher Basisdienste, den Bibliotheken und Archiven, im
frühen und mittleren 20. Jahrhundert. In seinem Kommentar warf Mitchell Ash
(Wien) die Frage auf, ob sich im Zusammenhang mit den untersuchten Techniken
und beteiligten Akteuren von Internationalisierungsprozessen sprechen lasse
oder eher von Nationalisierungsprojekten. Habe man es mit verschiedenen
gegenläufigen, aber gleichzeitigen Entwicklungen zu tun?
Unter dem Titel “Serumkulturen” wurde in einer weiteren thematischen Sektion
die Entwicklung vom Experiment über die Kontrolle hin zur industriellen
Produktion des Diphtherie-Heilserums zum Ende des 19. Jahrhunderts in
Frankreich und Berlin untersucht. Ulrike Klöppel (Berlin) bezeichnete ein
von Behring neu aufgestelltes vereinfachtes Wertbestimmungsverfahren als
obligatorischen point of passage, den das Serum auf dem Weg zu einem
validierten Heilmittel durchlief. War in Deutschland die Kontrolle der
Produktion staatlich reglementiert, so fand sie in Frankreich (Jonathan
Simon, Lyon) nur durch die Öffentlichkeit statt. Die komplizierten
Kontrollen und ihre Dokumentationen in Deutschland stellte Axel C.
Hüntelmann (Heidelberg/Berlin) dar. Inwieweit man hier von nationalen
Kontrollkulturen sprechen kann, blieb offen.
Wissenschaftliche Praktiken und Objekte, mit deren Hilfe sich die
Gelehrtenkultur herausbildete, standen im Mittelpunkt weiterer Sektionen. In
einer freien Sektion thematisierte Marian Füssel (Münster) die Grenzen und
Stärken dieses Konzepts, untersuchte Klaus Dieter Herbst (Jena)
Publikationsformen wie den Kalender, Ulrike Zeuch (Wolfenbüttel), die
Aneignungsstrategien literarischer Texte für die Anthropologie und Katharina
Huber (Basel) die gezielte Einverleibung kultureller Arbeits- und
Wissensfelder in die Wissenschaft des 16. Jahrhunderts durch den Zürcher
Stadtarzt Conrad Gesner. Die thematische Sektion “Wissenschaftliche
Briefkultur” stellte dagegen auf die persönlichen und materialen Netzwerke
ab, die das Fundament der neuzeitlichen Wissenschaft bilden. Marion Maria
Ruisinger (Erlangen) sprach in diesem Zusammenhang von der epistolaren
Vergesellschaftung der europäischen Gelehrtenrepublik, die als ideelle
Republik in ihrer Kommunikationspraxis fest in gesellschaftliche Strukturen
eingebunden war. Marion Mücke (Berlin) stellte die Arbeitskorrespondenz der
Leopoldina um 1750 als extrem günstigen Quellenbestand vor, um die
Geschichte wissenschaftlicher Akademien erforschen. Kritische Aufnahme fand
schließlich der Vorschlag Paul Ziches (München), Beitrittsgesuche an die
Bayrische Akademie der Wissenschaften vor allem unter stilistischen bzw.
formalen Merkmalen zu untersuchen, um darüber Aussagen über das
zeitgenössische kollektive Verständnis von “der Wissenschaft” zu treffen. An
die epistolare Vergesellschaftung konnte am Ende des 18. Jahrhunderts auch
wirtschaftsunternehmerisch, in Form von Verlagsgründungen, angeschlossen
werden, wie Andreas Lütjen und Klaus D. Oberdieck (Braunschweig) in einem
Vortrag zeigten, den sie innerhalb einer freien Sektion hielten.
Die wissenschaftlichen Ein- und Ausschlussverfahren, die sich die
Wissenschaften, aber auch die Wissenschaftshistoriker zunutze machten, um
ihre Gegenstände zu konstruieren, beschäftigte die thematische Sektion
“Randfiguren im Zentrum des Interesses” am Beispiel der Universität Gießen.
Ulrike Enke (Gießen) widmete sich dem “Außenseiter” Michael Bernhard Velten,
dem es, aus nicht-akademischer Familie stammend und institutionell
ungebunden, gelang, Ende des 17. Jahrhunderts die Experimentalphysik in
Gießen zu etablieren. Karin Geiger (Gießen) nuancierte über die
Berücksichtigung auch randständiger Ärztemilieus die bisherige historische
Rezeption der “Krise der Medizin” in der Zwischenkriegszeit. Sigrid
Oehler-Klein (Gießen) untersuchte Entscheidungsprozesse an der
Provinzuniversität Gießen in der Zeit des Nationalsozialismus und der
Nachkriegszeit und fragte nach möglichen politischen Freiräumen, die sich
aus der peripheren Stellung der Universität ergaben. Anne Cottebrune
(Gießen) beschäftigte sich mit der besonderen Rolle, die Frauen als
Mitarbeiterinnen in der NS-Rassenhygiene zukam.
Demgegenüber setzten die Vorträge von Björn Schirmeier (Frankfurt a. M.),
Christian Forstner (Wien), Stefan Ditzen (Berlin), Sabine Müller (Aachen)
und Vladimir Abaschnik (Charkov) in freien Sektionen Diskurse und
Anwendungen der Mathematik und Physik des 20. Jahrhunderts in Beziehung zu
ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Wissenschaft, Kultur und Sprache
Das Betreiben von Wissenschaft besteht immer auch in sprachlicher
Vermittlung der Ergebnisse und die Sprache stellt das verbindende Glied
zwischen den “harten” Natur- und den “weichen” Geisteswissenschaften dar.
Der “Kultur der Gegenwart” (KDG), einer auf 62 Bände angelegten
Enzyklopädie, die zwischen 1906 und 1925 erschien und als “Großprojekt zur
Einheit von Geistes-, Natur-, Technikwissenschaften und Medizin” gelten
kann, widmete sich eine thematische Sektion in diesem Sinne. Hier arbeitete
Michael Stöltzner (Wuppertal) heraus, dass der Bezug auf “Kultur” dazu
diente, der Ausdifferenzierung des Wissens Anfang des 20. Jahrhunderts einen
angemessenen Namen zu geben und zum Wertbegriff wurde, mit dem die an der
Enzyklopädie beteiligten Wissenschaftler den “Niedergang der Mandarine”
aufhalten wollten. Renate Tobies (Braunschweig) zeigte ergänzend, wie der
Mathematikprofessor und KDG-Fachredakteur Felix Klein seine
schulreformerischen Ideen für die Mädchenbildung auch in der Enzyklopädie
verankerte. Nach Paul Ziche (München) schützte die Breite des Kulturbegriffs
den KDG-Herausgeber Paul Hinneberg schließlich davor, zu den Grenzen der
Wissenschaften, wie sie der Mechanismus am Ende des 19. Jahrhunderts
beschwor, Stellung zu nehmen. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen,
dass es sich bei der KDG um einen Höhepunkt und zugleich dem Ende der so
genannten Koryphäenpopularisierung handelte.
In der thematischen Sektion “Katalysatorische Sphäre” bildete die Analyse
von in Wissenschaft und Technik verwendeten Metaphern sowie deren Deutung
die gemeinsame Klammer der Vorträge. Benjamin Steininger (Berlin) widmete
sich der Kulturgeschichte des Katalysators, Arianna Borrelli (Berlin)
analysierte die Wandlungen des Temperaturbegriffs im 19. Jahrhundert, Ellen
Harlizius-Klück (München) beschrieb die Verwendung des Begriffs “Webmuster”
in der Antike und Ute Frietsch (Berlin) beschäftigte sich mit der
Humoralpathologie zu Beginn der frühen Neuzeit. Die mangelnde gemeinsame
Konzeptionalisierung des Metaphernbegriffs in den Vorträgen machte es jedoch
schwierig, die Zusammenhänge zwischen den Beispielen auszumachen. In der
Diskussion schien die Notwendigkeit auf, die Frage des Ineinandergreifens
von Metaphernverwendung und kultureller Praxis, wie sie etwa in der Weberei
oder auch in der Verwendung und Benennung alchemischer Gerätschaften
auftaucht, im Licht der jüngeren Diskussion um Metaphern in der
Wissenschaftsgeschichte zu reflektieren.
III. Wissenschaften in der Kultur

Popularisierung versus Abgrenzung von tradiertem Wissen
Überlegungen zur Vermittlung von Wissenschaftsinhalten oder Wissensbeständen
an ein außerfachliches Publikum standen mehrfach zur Debatte. Wenn sich die
Kultur der naturwissenschaftlichen Bildung in dem Wunsch und dem Vermögen
äußerte, wissenschaftlich abgestützte Entscheidungen in Politik,
Gesellschaft und Industrie zu treffen, dann musste einer Gesellschaft daran
gelegen sein, dass nicht nur ihre (behördlichen) Experten, sondern auch alle
anderen Mitglieder wissenschaftliches Wissen rezipierten und sich
angeeigneten. Die thematische Sektion “Gegen eine Mumifizierung von
Wissenschaft und Technik in der Öffentlichkeit” widmete sich
Popularisierungskonzepten im wissenschaftlichen Ausstellungsbereich des 20.
Jahrhunderts, die das Museum als bloße Konservierungsstätte ablehnten.
Sybilla Nikolow (Bielefeld) stellte mit Otto Neurath einen Museums- und
Bildpädagogen vor, der Wissenschaftspopularisierung als Demokratisierung von
Wissenschaft und Gesellschaft verstand. Silke Bellanger (Luzern) wies einen
Wandel der Ausstellungskonzepte seit Ende der 1960er Jahre nach. Das
Programm der historischen Authentizität wurde zugunsten mehr spielerischer
Formen der Naturaneignung aufgegeben. Priska Gisler (Zürich) analysierte die
nie verwirklichten Pläne für das MIT-Museum 1860 und entdeckte Parallelen zu
späteren Selbstdarstellungen von technischen Hochschulen. Helmuth Trischler
(München) bettete in seinem Kommentar die Beispiele in die
Wissenschaftsmuseumsgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Melanie Blank
(Bielefeld) näherte sich in einer freien Sektion auch dem Thema
Popularisierung in Museen.
In einer freien Sektion untersuchte Andrea Westermann (Zürich) am Beispiel
der Zürcher Geologie naturwissenschaftliche Bildung auf ihre Funktion als
kollektives Orientierungswissen hin. Gerhard Trommer (Frankfurt a. M.)
bereitete die Auseinandersetzung um humanistische und naturwissenschaftliche
Bildung in deutschen Schulen des 19. Jahrhunderts chronologisch auf. Beate
Ceranski (Stuttgart) wandte sich den Präsentationen der frühen
Radioaktivitätsforschung in Ausstellungen am Beginn des 20. Jahrhunderts zu.
Sie ging auf die Schwierigkeiten der Ausstellungspraktiker ein, denn bei der
Objektbeschaffung galt es den Wert des Authentischen auf dem Weg vom Labor
ins Museum zu bewahren. Eine weitere thematische Sektion widmete sich
“Phänomenen des Populärwissenschaftlichen”, aber nun mit Blick auf
Instrumente, Texte und Körper. Klaus Staubermann (Berlin) stellte die
Laterna Magica in ihrer Bedeutung als Visualisierungstechnik in der
astronomischen Bildung des 19. Jahrhunderts vor, Safia Azzouni (Berlin)
untersuchte populärwissenschaftliche Texte seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts auf ihr zeitgenössisches Verständnis von Popularisierung und
Christina Wessely (Berlin) betonte die Bedeutung der Person Hanns Hörbigers
für die Popularisierung seiner Welteislehre. Herbert Mehrtens (Braunschweig)
hob in seinem Kommentar auf die quasireligiösen Aspekte des
Populärwissenschaftlichen ab.
Populärwissenschaftliche Anstrengungen sind nicht zuletzt eine Konsequenz
der aufkommenden Massenkultur im späten 19. Jahrhundert. In der thematischen
Sektion “Die “Technik im Sport – der Sportler als Maschine” widmete man sich
dem Sport sowie den Sporttechniken und ihren
Verwissenschaftlichungstendenzen im 20. Jahrhundert. Im Sport wurde
physiologisches Wissen für eine industrielle Massengesellschaft zugleich
generiert und rezipiert sowie breit verankert (Frank Becker, Münster).
Alexander von Lünen (Darmstadt) skizzierte die Bedeutung der
Industriehygiene für die spätere Sportmedizin. Noyan Dinçkal (Darmstadt)
untersuchte die Präsentation von Sport als einem wissenschaftlichen
Forschungsgebiet auf der Dresdner Hygieneausstellung 1911. In einem eigens
erstellten Stadion mit angeschlossenem Labor inszenierten die
Wissenschaftler die sportliche Leistung als Untersuchungsgegenstand der
Physiologie. Dass der Radrennfahrer der perfekte Cyborg ist, verdeutlichte
Ralf Pulla (Dresden). Er stellte dar, dass und inwiefern sich die
biomechanisch-physiologische Seite des Radsports im Verlauf des 20.
Jahrhunderts gegenüber der materialtechnischen Seite des Geräts als die
dynamischere erwiesen hat.
Unter dem Titel “Wissenschaft und Nützlichkeit in Deutschland im 18.
Jahrhundert” griff eine eine weitere thematische Sektion einen
zeitgenössischen Topos der Aufklärung auf, mit dem Wissenschaft
gesellschaftlich verankert wurde. Ursula Klein (Berlin) rekonstruierte die
Wirkungsmächtigkeit der politischen Theorie des Utilitarismus aus der
Praxis, das heißt dem Zusammenspiel von materieller Kultur und chemischen
Verfahren in dem Gewerbezweig der Zuckergewinnung. Marcus Popplow (Cottbus)
zeigte auf, dass in den Selbstdarstellungen “Ökonomischer Gesellschaften”
Wissenschaftlichkeit nicht mehr als Gelehrsamkeit ausgelegt, sondern als
Nützlichkeit interpretiert wurde. Kai F. Hünemörder (Hamburg) untersuchte
die Praktiken und Bedeutung der Pockenimpfung in der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts.
Mit dem Umkehrphänomen zur Popularisierung, das heißt mit der Persistenz
tradierten Wissens, befassten sich verschiedene Vorträge in freien
Sektionen. Natascha Adamowsky (Berlin) widmete sich der Präsenz des
Wunderglaubens zur Zeit des Kulturkampfes in Deutschland. Gerlind Rüve
(Bielefeld/Hannover) setzte sich anhand der Scheintoddebatte des ausgehenden
18. und 19. Jahrhunderts mit dem Legitimationsnotstand theologischer
Gewissheiten auseinander, der durch konkurrierende medizinische Erkenntnisse
ausgelöst wurde und Michael C. Schneider (Düsseldorf) untersuchte
schließlich die Konfessionen als Entitäten der statistischen Abbildung im
19. und 20. Jahrhundert auf ihre politische Konnotationen.
Geschlechterkonstruktionen
Inwiefern wissenschaftliches Wissen und die Konstruktion der
“Geschlechtscharaktere” sich gegenseitig bedingen, ist bereits lange
Gegenstand der Geschlechterforschung. Die mit “Doing Kinship: Stammbäume,
genealogische Praktiken und Verwandtschaftskulturen in der Wissenschaft”
überschriebene thematische Sektion beschäftigte sich mit dem Stammbaum als
Spurenleger und den in den genealogischen Praktiken eingravierten
Vorstellungen von Familie, Geschlecht, Verwandtschaft und Vererbung. Anhand
des Begriffs Klon (Christina Brandt, Berlin), der Ausbreitung der
Brustkrebsgene über die medizinische Kultur (Sonja Palfner, Berlin) und des
Umgangs mit genealogischen Konzepten in der Ethnographie (Michi Knecht,
Berlin) wurde die Methode des “Doing Kinship” betrachtet und angewendet. Die
Frage nach der Konstruktion von Körperlichkeit wurde in verschiedenen
Vorträgen thematisiert.
In der thematischen Sektion “Weimars Viagra” stellte Rainer Herrn (Berlin)
dar, dass die frühe Sexualwissenschaft Sexualität als einen Hormonreflex
auffasste. Die sich gerade etablierende Disziplin schloss sich damit an
naturwissenschaftliche Diskurse der Zeit an. Samara Heifetz (New York)
untersuchte die psychoanalytischen Diskurse um weibliche Sexualität im
Berlin der zwanziger Jahre. Die weibliche Sexualität in Form des weiblichen
Orgasmus stand auch im Mittelpunkt des Vortrags von Marion Hulverscheidt
(Berlin/Heidelberg). Sie zeigte auf, wie sich Eugenik, Sexualität und
Geschlechterdiskurse in den 1920er Jahren so verschränkten, dass der
weibliche Orgasmus als mechanistisch und rationalisierbar beschrieben wurde.
Heiko Stoff (Braunschweig) analysierte schließlich die Diskurse um
Verjüngung, die die Idee eines “normalen”, leistungsfähigen Körpers
mitbefestigten. Auch in den freien Sektionen wurde nach Geschlechtlichkeit
und Körperlichkeit gefragt: So zeigte Meike Lauggas (Wien) am Beispiel der
Neukonzipierung des Hymens im 20. Jahrhundert, wie diese neuartige
Beschreibung medizinischer Tatsachen mit dem Etablierungsversuch der
Subdisziplin der Kinder- und Jugendgynäkologie einherging. Irmela Marei
Krüger-Fürhoff und Tanja Nusser (beide Greifswald) thematisierten aus
wissenschaftshistorischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive die
strukturellen Ähnlichkeiten, die sich in der Transplantationsmedizin und
Reproduktionstechnologie zwischen Narrationen der 1920er und 30er Jahre und
aktuellen populärwissenschaftlichen Visionen finden lassen.
In der thematischen Sektion “Krieg und medikale Kultur. Patientenschicksale
und ärztliches Handeln im Zeitalter der Weltkriege (1914-1945)” standen
neben der Frage, welchen historischen Wert Lazarett-Krankenakten aus zwei
Weltkriegen haben, auch die soldatischen Männlichkeitskonstruktionen im
Blickpunkt. Petra Peckl (Freiburg) stellte dar, wie die “Kriegszitterer” im
Ersten Weltkrieg in den Diagnose- und Therapieakten repräsentiert wurden.
Deutlich wurde, dass bei Offizieren anders anamnestiziert wurde, bzw. die
Befunde anders dokumentiert wurden als bei einfachen Soldaten. Auch die von
Peter Steinkamp (Freiburg) untersuchten autoerotischen Unfälle, die sich in
geringer Fallzahl in den Berichten der beratenden Pathologen während des
Zweiten Weltkriegs auffinden lassen, wurden sowohl uneinheitlich
dokumentiert wie auch unterschiedlich medizinisch behandelt. Cay-Rüdiger
Prüll (Freiburg) stellte in seinem Kommentar zur Sektion heraus, dass
Patientenakten und Sektionsprotokolle für zwei Forschungsbereiche
aufschlussreich sind: erstens für die Untersuchung der wechselseitigen
Bezüge zwischen Kriegskultur und medikaler Kultur und zweitens für die
Abschätzung der politischen Ideologisiertheit des medizinischen Personals.
Erwartungsgemäß gab die Tagung vor allem Einblick in die Vielfalt der
Themen, Methoden und Zugangsweisen zur Geschichte der Wissenschaften unter
Bezugnahme auf die Begriffe “Kultur” und “Kulturgeschichte”. Vielleicht
gestatteten gerade die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Vertreterinnen
und Vertreter anderer kulturwissenschaftlicher Disziplinen und der
Wissenschaftsgeschichte, die ansatzweise auf dem Symposium spürbar waren,
eine Annäherung an das, was kulturwissenschaftliche Methoden für die
Wissenschaftsgeschichte zu leisten vermögen und was die
Wissenschaftsgeschichte zur Debatte um die “Kultur” beizutragen hat. Dass
die Tagung über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer anzog, beweist nicht nur
die Aktualität des Tagungsthemas, sondern auch die Lebendigkeit der
deutschsprachigen Wissenschaftsgeschichte. Im nächsten Jahr tagen die beiden
Gesellschaften erst einmal wieder getrennt: die GWG wie gewohnt am
Himmelfahrtstag zum Thema “Wissenschaften und Musik” in München und die
DGGMNT Ende September zur “Praxis der Theorie” in Wuppertal. Weitere
gemeinsame Tagungen sind aber nicht ausgeschlossen.
[1] Siehe zu den beiden Gesellschaften: http://www.dggmnt.de/index.html und
http://www.gewige.de/
[2] Die Vorträge des Symposiums werden voraussichtlich 2007 in den
“Berichten zur Wissenschaftsgeschichte” erscheinen.
[3] Zum vollständigen Tagungsprogramm und den Abstracts aller Vorträge in
thematischen und freien Sektionen siehe:
http://rzv086.rz.tu-bs.de/pharmgesch/tagung06/
(thanks to Sybilla Nikolow)